Empfehlungen Gender Diversity VR und CEO

Empfehlungen zur Etablierung einer Pipeline bestqualifizierter weiblicher Talente für börsenkotierte und grosse, nicht börsenkotierte


Verfasst von Dr. Fabienne E. Meier, Partnerin Knight Gianella, im März 2021


Das neue Aktienrecht fordert eine Vertretung beider Geschlechter in den obersten Führungsgremien von börsenkotierten Unternehmen. Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen sollten Gender Diversity als Chance sehen, denn sie fördert den Austausch, die Team-Dynamik und die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität ihrer Unternehmen.


Um dies sicherzustellen, müssen oberste Führungsgremien umdenken und sich neu ausrichten. Es reicht nicht mehr, nur bestqualifizierte weibliche Talente zu gewinnen. Die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Talent-Pipeline sind zu schaffen. Nur Unternehmen, die eine wertebasierte Führung und eine teamorientierte Organisation haben, sind für weibliche Talente wirklich attraktiv. Dazu gehören konfliktfreie Strukturen und sich im Team ergänzenden Verantwortungen. Die anderen Unternehmen werden im Kampf nach weiblichen Talenten ins Hintertreffen geraten.


Grundlage für die Empfehlungen

Die Analyse von Knight Gianella und die daraus abgeleiteten Empfehlungen basieren auf 100 Einzelgesprächen mit weiblichen VR, CEO und CHRO aus börsenkotierten und grossen, nicht börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz, im Zeitraum von September bis November 2020, zuzüglich einer umfassenden Literatur-Recherche.


Aktuelle Herausforderungen

Die neuen Richtwerte des Schweizer Aktienrechts zu Geschlechterquoten sind seit Januar 2021 in Kraft. Diese verlangen, dass die etwa 300 bedeutenden börsenkotierte Gesellschaften die Frauenquote einführen. In Verwaltungsräten sollen beide Geschlechter zu mindestens 30% vertreten sein, in Geschäftsleitungen zu mindestens 20%. Die Übergangsfrist für die Verwaltungsräte beträgt fünf Jahre und für die Geschäftsleitung zehn Jahre.


Verwaltungsräte, CEOs und Geschäftsleitungen stehen in der Pflicht, diese Ziele zu erreichen. Die Realität zeigt, dass in der Schweiz noch 20% der bedeutendsten börsenkotierten Unternehmen keine einzige Frau im Verwaltungsrat haben. Noch schlechter ist die Frauenquote in den Geschäftsleitungen.


Obwohl die obersten Führungsgremien meistens schon Anstrengungen unternommen haben, um eine Frau zu finden, sind sie oft gar nicht in der Lage, diese weiblichen Talente dann für die Aufgabe zu gewinnen. Falls Unternehmen diese Frauen gewonnen haben, steigen sie leider oft nach ein paar Jahren wieder aus dem Gremium aus, weil sie sich darin nicht wohl fühlen bzw. die Spielregeln zu wenig beeinflussen können. Anders gesagt, die Frauen zeigen den Unternehmen die kalte Schulter.


Dies ist einerseits auf die Komposition und die Dynamik der obersten Führungsgremien und anderseits auf die strukturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen, die in diesen Unternehmen existieren. Zudem spielt die Attraktivität der Branche eine wichtige Rolle. Umso mehr ist es deshalb wichtig, dass die zwei obersten Führungsgremien auf der kulturellen und strukturellen Ebene einen Paradigma-Wechsel vollziehen, um die Attraktivität des Unternehmens bei weiblichen Talenten zu erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.


Vorteile von Gender Diversity

Mehrere Studien haben dargestellt, dass gemischte Teams und Unternehmen erfolgreicher und wettbewerbsfähiger sind. So zeigen Unternehmen mit mehr als einer Frau im Verwaltungsrat, dass sie im Durchschnitt +20% erfolgreicher als Unternehmen ohne Frauen sind. Dieselben Werte sind auch auf die Geschäftsleitung übertragbar bzw. die ermittelten Werte sind ähnlich. Auch die Margen und der Gewinn sind bei diesen Firmen höher. Es wäre allerdings noch besser, 20% oder 30% Frauen zu haben. Denn dort ist die Performance der Unternehmen deutlich am besten (bis zu +40%).


Die Gründe für diese erhöhte Wettbewerbsfähigkeit sind vielfältig. Gemischte Führungsgremien bringen unterschiedliche Sichten in die Diskussion und tauschen sich stärker aus. Dadurch fällen sie bessere Entscheidungen und sind innovativer als nicht gemischte Teams. In der Knight-Gianella-VR-Umfrage 2020/2021, die im November 2020 erschienen ist, konnte festgestellt werden, dass Frauen im Verwaltungsrat neue Themen einbringen, im Durchschnitt einen höheren Wert auf strategisch nachhaltige Themen legen und ein höheres Kostenbewusstsein als ihre männlichen Kollegen haben. Zudem gewichten sie die soziale Verantwortung des Unternehmens und die Dynamik im Team höher. Dies führt dazu, dass Firmen mit gelebter Diversität längerfristig engagiertere Mitarbeitende haben und besser neue Talente binden können.


Notwendigkeit von Gender Diversity

Die Etablierung von Gender Diversity ist eine zwingende Notwendigkeit geworden. Die in Frage kommenden weiblichen Talente sind allerdings eine knappe Ressource, um den benötigten Bedarf für Unternehmen zu decken. Aus strukturellen wie auch aus gesellschaftlichen Gründen fehlt es in der Schweiz immer mehr an bestqualifizierten Talenten, vor allem aus technischen Bereichen und in technischen Branchen.


Bis 2003 gab es in mehr als der Hälfte der technischen Fakultäten der ETH weniger als 10% weibliche Absolventinnen. Bei den betriebswirtschaftlichen Studiengängen der HSG lag die Quote mit 20% etwas besser. Wenn man dort die Alumnae zählt, haben heute nur ca. 1350 Frauen (Alter 46 bis 60 Jahre) bzw. 18% der Abgängerinnen überhaupt genügend Erfahrung für eine Stelle in einer Geschäftsleitung oder in einem Verwaltungsrat. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass 70% der Frauen Kinder haben und aufgrund der Familiensituation Lücken im Lebenslauf ausweisen, sind die weiblichen Talente für Funktionen im obersten Führungsgremium noch rarer und müssen dorthin entwickelt werden. Zudem bevorzugen Frauen mit Kindern die Tätigkeit als Verwaltungsrätin, die sie als flexibles und hochqualifiziertes Teilzeit-Modell mit wenig administrativen Aufgaben sehr attraktiv finden.


Diese Situation ist für den Standort Schweiz längerfristig problematisch. Durch die mangelnde Verfügbarkeit von bestqualifizierten Talenten verliert die Schweiz im internationalen Vergleich zunehmend an Attraktivität. Auch Investoren legen der Schweiz nahe, das Problem zu lösen, denn sie wollen künftig nur noch in Unternehmen und in Ländern investieren, die durch Gender Diversity auch wettbewerbsfähig bleiben können und wollen.


Paradigma-Wechsel

Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen stehen vor einem kulturellen und strukturellen Paradigma-Wechsel (vgl. Abbildung). Die traditionelle Arbeitswelt männergeprägter Gremien mit klassischen Formen der Führung und Zusammenarbeit sind nicht mehr zukunftsfähig. Diese Entwicklung passiert unabhängig davon, wie viele kompetente Führungspersönlichkeiten im aktuellen obersten Führungsgremium operieren. Es ist eine wertebasierte Führung, eine teamorientierte Zusammenarbeit und eine flexible Arbeitsweise gefragt.



Die Mehrheit der Frauen wollen sich in einem Unternehmen einbringen, wo sie einen sinnstiftenden Beitrag leisten können. Sie bemängeln reine männergeprägte Gremien mit unbewussten Vorurteilen genauso wie unnötige Sitzungen, die ihre Ursache in inhärenten Konflikten, internem Wettbewerbsdenken und unklaren Verantwortungen haben. Und genau hier liegt der Hebel. Unternehmen sollten dieser Tatsache ins Auge schauen und sich neu ausrichten.


Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen sollten einen Perspektivenwechsel vornehmen und Gender Diversity als Chance zu mehr Wettbewerbsfähigkeit betrachten. Dies hat zur Folge, dass ein holistischer Ansatz notwendig ist und das ganze Unternehmen danach ausgerichtet werden muss. Denn nur richtig aufgestellte Unternehmen sind für Frauen wirklich attraktiv und werden diesen Kampf nach bestqualifizierten weiblichen Talenten gewinnen.


Holistischer Lösungsansatz

Um die Frauenquote sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, ist es notwendig, auf allen Stufen des Unternehmens anzusetzen (vgl. Abbildung). Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen müssen die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Talent-Management schaffen und folgende vier Ziele verfolgen:


  1. Gender Diversity als Teil der Unternehmensstrategie: In einem ersten Schritt sollte das oberste Führungsgremium Diversität als Teil der Strategie verankern. Jedes Unternehmen sollte klare Ziele haben, wo es heute bei diesem Thema steht und wohin es gehen soll. Daraus lassen sich strategische Stossrichtungen und messbare Ziele auch auf der Zeitachse ableiten, nachvollziehen und kontrollieren.

  2. Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungs-Evaluationen: In einem zweiten Schritt geht es darum, die Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen zu evaluieren. Die Komposition der Gremien muss sicherstellen, dass die bestqualifizierten Führungspersönlichkeiten mit den passenden Kompetenzen zusammenarbeiten. Zudem sollten diese mit einer wertebasierten Führung, konfliktfreien Zusammenarbeit (Strukturen) und vorurteilsfreien Kommunikation operieren. Die einzelnen Mitglieder sollten als wertebasierte Vorbilder positioniert werden. Nur wenige ausgewählte Partner im Executive Search wie Knight Gianella verfügen über die einschlägige Expertise, die Glaubwürdigkeit und den vertrauensvollen Zugang zu Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen, um diese bei dieser sensitiven und diskreten Aufgabe zu begleiten.

  3. Strukturelle Rahmenbedingungen für Gender Diversity: Damit sich Gender Diversity überhaupt entfalten kann, sollten in einem dritten Schritt konsistente Strukturen implementiert werden. In der überwiegenden Anzahl untersuchter Unternehmungen wird die Strategie widersprüchlich in das Target Operating Model umgesetzt. Die Aufgaben und Verantwortungen einzelner Bereiche sind unklar abgegrenzt, überschneiden sich, lassen Lücken und haben inhärent widersprüchliche Zielsetzungen. Dies führt zu einem hohen Bedarf an Abstimmungen und Konflikten, die oft mehr als die Hälfte der Führungszeit beanspruchen, als wenig sinnstiftend beurteilt werden und einen grossen Koordinations-aufwand bedingen. Dies schränkt die Flexibilität der einzelnen Mitarbeitenden ein und betrifft damit einen der wichtigsten Gründe, die als Barriere gegen Gender Diversity genannt werden. Zudem wird in dieser Zeit weder für die Kunden noch für die Aktionäre Wert geschaffen. Vor allem aber verhindert es die Entwicklung eines Gremiums zu einem Team und somit fundamental den Nutzen von Gender Diversity.

  4. Sicherstellen des Talent-Managements: Im letzten Schritt sollten Unternehmen eine eigene Talent Pipeline aufbauen. Für die Gewinnung der Talente sollten Unternehmen ausserhalb der eigenen Netzwerke (über den eigenen Tellerrand hinaus) mit ausgewählten Partnern im Executive Search zusammenarbeiten, die nachweislich den bestmöglichen, von Vertrauen geprägten Zugang zu diesen raren bestqualifizierten Talenten sicherstellen. Nachdem diese gewonnen worden sind, sollten sie aber auch entwickelt werden. Bei den weiblichen Talenten sind die Lücken zu schliessen, die sie aufgrund der Werdegänge und der Familiensituation im Lebenslauf haben. Mit weiblichen Talenten, die in naher Zukunft möglicherweise Kinder haben werden, sollten Unternehmen proaktiv das Tabuthema der Familienplanung ansprechen. Das Gender-Diversity-Karrieremodell von Knight Gianella dient als Unterstützung, um die Bedürfnisse der Frauen besser zu verstehen und gemeinsame Lösungen zu vereinbaren.



Fazit: Gender Diversity bringt eine grosse Chance für mehr Wettbewerbsfähigkeit, wenn Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Nur durch einen holistischen Ansatz ist es möglich, das Thema Gender Diversity im Unternehmen zu verankern und bestqualifizierte weibliche Talente einerseits für die obersten Führungsgremien zu gewinnen und anderseits längerfristig ans Unternehmen zu binden. Packen wir es an!