Erfolgsfaktor Gender Diversity: Massnahmen und Hemmfaktoren

Empfehlungen zur Etablierung von bestqualifizierten Frauen in den obersten Schweizer Führungsgremien


Verfasst von Dr. Fabienne E. Meier, Partnerin, Knight Gianella, im April 2022


Um Gender Diversity längerfristig in der Schweiz zu verankern, setzten die Mehrheit der weiblichen und männlichen Verwaltungsräte eine klare und konsistente Haltung des CEOs an erste Stelle und die Vereinbarkeit von Familie und Führungspositionen an zweite Stelle. Es braucht also mehr als den neuen Geschlechterrichtwert. Es braucht eine echte Überzeugung, dass gendergemischte Führungsteams erfolgreicher sind.


Die Hemmfaktoren sollten besser adressiert werden. Der Preis der Karriere zu zahlen (d. h. auch persönlich einschneidende Kompromisse zugunsten der Karriere einzugehen), wird als ein besonders hoher Hemmfaktor angesehen. Andere wichtige Gründe sind die schwächere Präsenz in Business-Netzwerken, fehlende Vorbilder, die zeitliche Verfügbarkeit und die geringere internationale Mobilität der Frauen.


Grundlage für die Empfehlungen

Die Analyse und die daraus abgeleiteten Empfehlungen basieren auf der VR-Umfrage 2021/22 von Knight Gianella, die im 3. Quartal 2021 von Prof. Dr. Stefan Michel, Dekan am IMD, online durchführt wurde. Mit einer sehr hohen Rücklaufquote von über 29,8% der angefragten 705 VR-Mitgliedern in börsenkotierten und grossen, nicht börsenkotierten Schweizer Unternehmen und einem konstanten Frauenanteil von 24% können die Resultate als repräsentativ gelten. Von den 210 Teilnehmenden üben 75% ein Mandat bei börsenkotierten, 34% bei familiendominierten und 18% bei staatsnahen Unternehmen aus. Die Mehrheit arbeitet in mindestens einem Prüfungs- (61,7%), Vergütungs- (59,6%) und Nominierungsausschuss (54,6%).


Zudem sind im Zeitraum von September 2020 bis November 2021 180 Einzelgespräche mit VR-Mitgliedern und CEOs aus börsenkotierten und grossen, nicht börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz sowie eine umfassende Literatur-Recherche durchgeführt worden.


Aktuelle Situation in der Schweiz

Die Etablierung von Gender Diversity in der Schweiz ist in der Agenda der obersten Führungsgremien angekommen. Der Geschlechterrichtwert, der im Januar 2021 im Aktienrecht eingeführt wurde, hat sich als sinnvoller Hebel gezeigt, um die Transformation in der Schweiz voranzutreiben und bestqualifizierte Frauen zeitnäher ins Topmanagement (VR, CEO, GL) hineinzubringen. Im Verwaltungsrat der untersuchten Unternehmen gibt es im Durchschnitt 26% und in der Geschäftsleitung 14% Frauen. Aktuelle Zahlen belegen zudem, dass 69% der Unternehmen mindestens eine Frau in der Geschäftsleitung beschäftigen. Gleichzeitig muss allerdings festgehalten werden, dass 31% der Unternehmen noch keine Frau in der Geschäftsleitung haben. Gewisse Branchen sind besonders stark davon betroffen. So sind lediglich 3 von 73 Retail-Banken in der operativen Hand von weiblichen CEOs. Eine vergleichbare Situation ist in der MEM (Maschinen-, Elektro- und Metall)-Industrie anzutreffen, die technisch-orientierte, bzw. -affine Profile sucht. Dort haben an der ETH bis 2003 weibliche Profile weniger als 10% (und auch an der HSG weniger als 20%) der Studierenden ausgemacht.


Zudem sehen sich Unternehmen in Industrien mit einem knappen Anteil an Frauen damit konfrontiert, dass es nicht nur wenig bestqualifizierte Frauen gibt, sondern dass diese auch stark umworben werden und viele Stellenangebote erhalten. Wenn die Dynamik im Team nicht stimmt, wandern diese Frauen schnell in andere Firmen und Branchen ab, wo sie für sich geeignetere Rahmenbedingungen antreffen. Deshalb stellt sich die Frage, ob es den Firmen gelingt, nicht nur diese fehlenden weiblichen Profile zu gewinnen, sondern auch längerfristig zu binden.


Interessant ist ausserdem, dass die meisten Positionen im obersten Führungsgremium vor allem durch Frauen ohne Schweizer Pass (54%) – vorwiegend aus den USA, Deutschland, England, Frankreich und Italien – belegt werden, was ein durchzogenes Bild über die aktuelle Situation in der Schweiz abgibt. Der Wirtschaftsstandort Schweiz braucht eine eigene Pipeline an bestqualifizierten Frauen, welche Unternehmen selbst aufbauen müssen, damit sie längerfristig wettbewerbsfähig bleiben. Im Economist’s Glass-Ceiling Index ist die Schweiz immer noch auf Platz 26 von 29 OECD-Ländern. Es braucht also mehr als den neuen Geschlechterrichtwert. Es braucht eine echte Überzeugung, dass gendergemischte Führungsteams erfolgreicher sind.


Massnahmen für eine bessere Gender Diversity

In der VR-Umfrage 2021/22 von Knight Gianella haben die weiblichen und männlichen Verwaltungsräte Massnahmen (vgl. Abbildung) genannt, um Gender Diversity auf allen Hierarchiestufen des Unternehmens sicherzustellen.


64% der Befragten stellen die klare und konsistente Haltung der/des CEOs (in Worten und Taten) an erste Stelle und 55% die Vereinbarkeit von Familie und Führungspositionen an zweite Stelle. Bei gewissen Hemmfaktoren haben Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte allerdings eine abweichende Sicht auf das Thema Gender Diversity. Während 35% der Frauen der Überzeugung sind, dass gesellschaftliche Wertvorstellungen die Gender Diversity hemmen und sich folglich die Spielregeln in der Wirtschaft ändern müssen, wird diese Überzeugung nur von 4% der Männer geteilt. Frauen befürworten dementsprechend die Einführung von klaren Zielvorgaben (inkl. Quoten), während Männer der Meinung sind, dass Gender Diversity über Förderungsprogramme gelöst werden kann.



Erste Massnahme: Die Haltung der/des CEOs (in Worten und Taten)

Die/der CEO ist die wichtigste Identifikationsfigur für Führungspersönlichkeiten im Unternehmen und trägt mit einer klaren und konsistenten Haltung das Thema Gender Diversity nach innen und aussen. Sie/er vertritt einerseits die Interessen des Verwaltungsrats und verantwortet die operative Unternehmensführung. Anderseits hat sie/er die Möglichkeit, die/den CHRO zu stärken und ihr/ihm die Kompetenzen sowie das Budget zuzusprechen, damit das Thema Gender Diversity proaktiv und überzeugend im Unternehmen verankert werden kann. Wenn die/der CEO als Vorbild das Thema Gender Diversity lebt, wird es die Organisation einfacher haben, die Ziele zu erreichen. Dies unter der Voraussetzung, dass die Knappheit an Frauen im Unternehmen effektiv gedeckt werden kann.


CEOs und ehemalige CEOs (heute im Verwaltungsrat), die früh in ihrer beruflichen Karriere mit gendergemischten Teams in Kontakt gekommen sind, setzen sich im eigenen Unternehmen aktuell dafür ein. Sie haben die Vorzüge schätzen gelernt. Sie sind sich bewusst, dass sich die Dynamik eines gendergemischten Teams ändert, sich diese positiv auf die Diskussion und den Austausch auswirkt und folglich die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördert.


Zweite Massnahme: Die Vereinbarkeit von Familie und Führungspositionen

Der heutige Knackpunkt liegt bei der Vereinbarkeit von Familie und Führungspositionen. Viele Führungspositionen in der Schweiz lassen oft noch wenig Flexibilität zu und sind mit der Familienplanung schwer zu vereinbaren. Zumindest bis das Problem aus gesellschaftlicher Sicht (u. a. mit Ganztagesbetreuung) nicht gelöst ist, sind Familien auf eine teure Kinderbetreuung und weitere kostspielige flankierende Massnahmen zur Meisterung eines komplizierten Schweizer Schulsystems angewiesen. Erschwerend kommt dazu, dass die meisten Unternehmen in der Schweiz heute international unterwegs sind und somit viele Führungspositionen eine internationale Mobilität verlangen. Es braucht ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Umdenken, damit mehr Frauen den Willen haben, den Preis der Karriere zu zahlen (d. h. auch persönlich einschneidende Kompromisse zugunsten der Karriere einzugehen), und später für Positionen im Topmanagement verfügbar sind. Um dies besser zu adressieren, sollten die Hemmfaktoren für die weibliche Karriere (vgl. Hemmfaktoren) verstanden werden. Gleichzeitig müssen Mütter, bzw. Familien mit Kindern ihre eigenen flankierenden Massnahmen (Kinderbetreuung, Haushalt und externe Dienstleistungen) gezielter aufbauen, bzw. in Anspruch nehmen, wie dies in vielen Nachbarländern bereits der Fall ist.


An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, dass auch Männer der neuen Generation Z künftig ihre Frauen stärker unterstützen werden. Mehrere Studien zeigen auf, dass die Vereinbarkeit von Familie und Führungspositionen auch immer mehr für jüngere Männer ein zentrales Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers wird. Somit ist das Thema für beide Geschlechter wichtig und ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen bei der Gewinnung und Bindung von Talenten.


Das Dilemma: Ziele versus Förderung – «unconscious bias» oder Unterstützung?

Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte haben eine abweichende Sicht auf das Thema Gender Diversity, wenn es um gesellschaftliche Wertvorstellungen von Frauen in Führungspositionen und folglich deren Entwicklung in Richtung oberstes Führungsgremium geht. Während gesellschaftliche Wertvorstellungen bei den Frauen eine Rolle spielen, sind diese für Männer eher sekundär. Männer sind der Meinung, dass Gender Diversity über Förderungsprogramme gelöst werden kann. Nun stellt sich die Frage, ob es einen «unconscious bias» (unbewusste Vorurteile) zwischen Männern und Frauen gibt. Obwohl in der VR-Umfrage die Vorurteile abgelegt werden, zeigt die Auswertung klare Wahrnehmungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Um das Problem längerfristig zu lösen, brauchen wir eine Annäherung beider Geschlechter und die Überbrückung der Differenzen bei der Wahrnehmung. Es braucht den Willen beider Geschlechter, optimal zusammenzuarbeiten und vom Nutzen gendergemischter Führungsteams profitieren zu wollen.


Gleichzeitig sollte festgehalten werden, dass einige Frauen mehr «profit and loss» (Gewinn und Verlust)-Verantwortung benötigen und in diesem Bereich proaktiv zu fördern sind. Eine Studie von Advance und der Universität St. Gallen belegt, dass die Frauen weniger Erfahrung in diesem Bereich vorweisen, insbesondere weil sie in den Familienjahren zwischen 31 und 50 Jahren als «Risikogruppe» weniger befördert worden sind – ob mit oder ohne Kinder. Das ist auch einer der Gründe, warum die Mehrheit der Männer denkt, dass Förderungsprogramme für Frauen notwendig sind.  


Zudem sollte nicht vergessen gehen, dass eine Führungsposition neben der fachlichen Kompetenz und der «profit and loss»-Verantwortung einen hohen Einsatz, die Verfügbarkeit gegenüber den Stakeholdern und den Willen, etwas durchstehen zu wollen, fordert und auch künftig weiterhin fordern wird. Zu viele Wechsel ohne nachweisbaren Leistungserfolg sind in der Regel kontraproduktiv sowohl für die
eigene Reputation als auch für den längerfristigen Erfolg des Unternehmens, insbesondere wenn diese ausserhalb des gleichen Unternehmens stattfinden.


Hemmfaktoren für eine bessere Gender Diversity

In der VR-Umfrage 2021/22 von Knight Gianella konnten verschiedene Hemmfaktoren (vgl. Abbildung) identifiziert werden, warum Frauen in der Schweiz oft nicht in die Führungsgremien von börsenkotierten oder grossen, nicht börsenkotierten Schweizer Unternehmen Einzug nehmen. Die Mehrheit der Frauen und die Mehrheit der Männer, die an der VR-Umfrage teilgenommen haben, sind sich einig, dass der Preis der Karriere zu zahlen (d. h. auch persönlich einschneidende Kompromisse zugunsten der Karriere einzugehen), einen besonders hohen Hemmfaktor darstellt. Andere wichtige Gründe sind die schwächere Präsenz in Business-Netzwerken, fehlende Vorbilder, die zeitliche Verfügbarkeit und die geringere internationale Mobilität der Frauen.



Warum sind nur wenige Frauen bereit, den Preis der Karriere zu zahlen?

Unsere Erkenntnisse zeigen auf, dass das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – mit der hohen Anforderung an eine Geschäftsleitungsposition mit internationaler Mobilität, einer teuren Kinderbetreuung und weiteren kostspieligen flankierenden Massnahmen zur Meisterung eines komplizierten Schweizer Schulsystems – die meisten Frauen, bzw. Familien in die Knie zwingt. Die Unternehmen riskieren, diese 70% der Frauen, welche Kinder haben, zu verlieren. Folglich sollten die bisherigen Karrieremodelle angepasst werden. In der Schweiz benötigen wir flexible Teilzeitstellen auf hohem Niveau und in hohen Pensen, welche wenig Administration und wenig Reisetätigkeit mit sich bringen. Idealerweise beinhalten diese Teilzeitstellen eine «profit and loss»-Verantwortung. So können die Jahre überbrückt werden, in denen die Kinder klein sind und das Problem der Kinderbetreuung aus gesellschaftlicher Sicht noch nicht gelöst ist. Sobald diese Zeit vorbei ist, sollten die Frauen baldmöglichst mit einem Vollzeitpensum wieder am Berufsleben teilnehmen. Sie stehen dann später für eine Position im Topmanagement zur Verfügung.


Zudem treffen wir auf oberster Ebene des Öfteren eine Unternehmenskultur an, bei der die Überzeugung herrscht, dass man der Führungsposition in einem börsenkotierten oder grossen, nicht börsenkotierten Schweizer Unternehmen alles unterordnen muss. Eine Geschäftsleitungsposition fordert neben einem hohen Arbeitspensum auch internationale Mobilität und Reisebereitschaft. Die meisten Frauen wollen sich diese Belastung nicht antun, insbesondere nicht in der Zeitspanne, in welcher sie den Spagat zwischen Beruf und Familie bewältigen müssen.


Fazit: Damit mehr Frauen bereit sind, den Preis der Karriere zu zahlen, ist ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Umdenken nötig. Es braucht eine echte Überzeugung, dass gendergemischte Führungsteams erfolgreicher sind. Der Arbeitseinsatz sollte lebensphasenspezifisch unterschiedlich geleistet werden können und die Karrieremodelle flexibel an diese Gegebenheiten angepasst sein. Jedoch darf nicht vergessen gehen, dass eine Führungsposition auf Geschäftsleitungsebene einen hohen Einsatz fordert und den nachweisbaren Leistungserfolg eines kompetenten obersten Führungsgremiums voraussetzt.